Die MONSTRANZ des Subjekts

MONSTERFRAU -Underground Opera und THIS IS NOT A BURKA! Just clothes: von Lena Wicke-Aengenheyster

von Noah Holtwiesche

Bei aller Entblößtheit, bei all dem, was aktuell als „Pornographisierung der Gesellschaft“ oder „Medikalisierung der Schönheit“ diskutiert wird, bei all den Versuchen von Frauen, sich und ihren Körper bedingungslos dem Regime der Sichtbarkeit zu unterwerfen, stellt sich mir doch der Eindruck ein, dass Nacktheit nie so kleidsam war wie heute. Die Nackten sind nicht mehr nackt, sie sind vielmehr in ihre Nacktheit gekleidet. Anders gesagt ist die Dynamik der Entblößung zum Erliegen gekommen: Der nackte Körper gibt nichts mehr preis, verspricht nichts mehr als das, was ohnehin evident ist. Es ist, als wenn Jean Baudrillard doch mal mit einer These aus den 1980er Jahren recht gehabt hätte, als er in "Die Szene und das Obszöne" vermerkte, dass die allgegenwärtige Sichtbarkeit, wie sie paradigmatisch im Porno zum Ausdruck kommt, die Szene eliminiert, auf der das Subjekt sich zu zeigen gibt.

Es ist dieser Zusammenhang, in dem Lena Wicke-Aengenheysters Projekte THIS IS NOT A BURKA! Just clothes und Monsterfrau einen symptomatologischen Wert offenbaren. Denn anhand dieser Projekte werden die Koordinatenverschiebungen sichtbar, die in unserer Gesellschaft das Zeigen des Körpers, insbesondere des weiblichen, betreffen.

In Monsterfrau, einer Underground opera zusammen mit Sascha Neudeck, ist das Publikum mit einer gorgonischen Gestalt konfrontiert, die mit bedrohlichen großen, wulstig-geschwürartigen Sexualsymbolen ausgestattet ist. Diese koppeln die sexuelle Identität gleichsam ab vom Körper der Performerin, machen sie zu Partialobjekten, die vom Körper der Performerin gleichsam subtrahiert werden müssen, sodass lediglich die Stimme als unheimliches Objekt übrig bleibt, eine Stimme, die eine kreatürliche Souveränität des Subjekts bezeugt, ohne noch in die kulturellen Stereotypen etwa der von der femme fatale abgleiten zu können.

In THIS IS NOT A BURKA! Just clothes bewegt sich Lena Wicke-Aengenheyster monatelang im öffentlichen Raum ausschließlich in dem, was gemeinhin und fälschlicherweise eine Burka genannt wird: eine Niqab, die nur einen kleinen Sehschlitz und Hände und Füße unverdeckt läßt und sonst den gesamten Körper in einen großen Schleier hüllt. Nur wenige Stunden an Wicke-Aengenheysters Seite machen deutlich, wie schwierig ein Alltag in Burka ist. Die Verhüllung produziert ständig Reaktionen, Kopfschütteln und Getuschel sind noch das Geringste, verbale Ausfälle, Drohungen und hitzige Diskussionen nicht selten, um so mehr, wenn das ganze als ein Kunstprojekt bekannt wird. Das Projekt kündigt offensichtlich den Konsens auf, der in unserer Gesellschaft über die Verschleierung herrscht und sowohl linke wie rechte Argumente zusammenbringt. Dieser Konsens äußert sich darin, die verschleierte Frau als Aggressorin und Gefahr zu verstehen, zugleich sie aber als Opfer islamischer Frauenfeindlichkeit zu stilisieren. Was beide politische Richtungen eint, ist die Unfähigkeit, die Burka auf das Regime der Sichtbarkeit zu beziehen, dem sie selbst unterworfen sind. Indem Wicke-Aengenheyster das konfliktträchtige Kleidungsstück für die Zwecke ihrer Kunst apropriiert, die politische Symbolkraft geradezu negiert, artikuliert sie dise andere Dimension der Verschleierung, die im politischen Theater unbeachtet bleibt.

Das gesellschaftliche Symptom, das beide Projekte umspielen, zugleich bearbeiten und mit einer radikalen Alternative begegnen, besteht in der Tilgung der Spuren des Subjekts aus dem Feld des Sichtbaren: Das Sichtbare zeigt nichts, weil sich kein Subjekt mehr hinter dem Zeichen verbirgt. Lena Wicke-Aengenheysters Projekte instituieren das Subjekt wieder gegen das Regime einer All-Sichtbarkeit, indem sie zwei entgegengesetzte Strategien radikalisieren: Einerseits die Demonstration des eigenen Entzugs aus diesem Feld des Sichtbaren, die Subtraktion des Subjekts aus dem herrschenden All-Sichtbarkeit. Während so bei THIS IS NOT A BURKA! Just clothes das Subjekt gerade in seiner Nicht-Sichtbarkeit erscheint, reaktiviert Monsterfrau die Erfahrung eines Zuviel-an-Sichtbarem, jene Dimension des Obszönen oder Schamlosen also, die als Konfrontation mit einer zu großen Sichtbarkeit des Subjekts erlebt wird.

Womit beide Projekte sich folglich auseinandersetzen, ist der Modus der Ostentation. Vor dem Hintergrund der All-Sichtbarkeit sind Burka und in Objekte partialisierter Körper schlichtweg Monstrositäten, weil sie entweder ein Übermaß oder ein Zuwenig an Sichtbarkeit inszenieren. In "Heideggers Hand (Geschlecht II)" hat Derrida die obszöne Dimension des sichtbaren Zeichens anhand der Etymologie des Wortes "montre", dem demonstrieren, Monster und Monstranz ebenfalls zugehören, nahegelegt, dass die Funktion des Zeichens gerade in einer gewissen Übermäßigkeit des Sichtbaren, einer Unheimlichkeit liegt. Wenn sich nun die Vorzeichen verkehrt haben und es in unserer Gesellschaft nichts obszöneres gibt, als seinen eigenen Körper zu verhüllen, dann weil dieser Akt der Verschleierung ein widerständiges Subjekt markiert, ein Subjekt, das sich dem Imperativ der All-Sichtbarkeit nicht unterwirft. Wie eine Monstranz, die in der Mitte leer ist, um die Hostie zu halten, markiert der Schleier im Gebrauch der Künstlerin eine Lücke, einen Entzug, in dem das Subjekt sich zu verstehen gibt. Und diese Tiefendimension wird bei Monsterfrau ebenfalls, wenn auch auf nahezu entgegen gesetzter Weise erzielt, wenn die sexuierenden Partialobjekte verdoppelt und vom Körper der Performerin abgespalten werden und so die Frage aufwerfen – die sich im Hören der Stimme verdichtet – nach dem, was nicht im Bestand des Sichtbaren gesichert ist, nach dem, was eine Dimension des Unheimlichen evoziert: dem Subjekt.

Noah Holtwiesche, Wien 01/2012