immer wieder neu

Wir leben in einer super schnelllebigen Zeit. Alles ist permanent in Veränderung, alles ist im Fluss. „Du entscheidest Dich ja imer wieder neu – dafür oder dagegen.“, sagt meine Mutter, die seit mehr als 25 Jahren mit dem einen Mann verheiratet ist. Mit dem zusammen sie vier Töchter hat. Mit dem sie zusammen gekommen ist, als sie 16 Jahre alt war. Und mit dem sie immer noch zusammen ist, ohne Unterbrechung dieser eine Mann. „Du entscheidest Dich immer wieder neu“, sagt sie, während sie erzählt, wie sie, als wir Kinder alle noch klein waren und ihr Mann, mein Vater, ungeduldig und unzufrieden war mit der Situation, mit der permanenten Fremdbestimmung und Anforderungen durch die Kinder, dachte, irgendwann schmeiß ich den Typen raus. Sie entschied sich immer wieder neu... nur entschied sie immer wieder für das Zusammensein mit diesem Mann, für ein Leben mit ihm zusammen.

Ich sage, „wir leben doch in dieser krass schnellen Zeit, alles geht so schnell und alles verändert sich die ganze Zeit und so verändere auch ich mich und der Andere verändert sich auch. Und die Interessen, die Gedanken, die Wünsche und Ziele... Da muss man sich halt austauschen, da muss man kommunizieren, es ist ja auch alles veränderbar. Vielleicht kann man das neue Interesse mit dem Anderen teilen, vielleicht hält er/sie die neue Idee für eine gute Idee und gibt ihr und den ihr anhängenden Wünschen und Vorstellungen nochmal wieder einen ganz anderen drive, der mich wiederum vom Hocker reißt.

Ja, und wenn die Interessen auseinander gehen und man keine gemeinsamen Ziele mehr hat oder die Lebensvorstellungen allzu sehr different sind oder werden und man sie nicht nur nicht mehr teilen möchte sondern auch keine Lust hat, sie andersweitig zu akzeptieren und mehr oder weniger mit zu tragen, dann... ja, dann trennt man sich halt. So ist das eben. Wir leben nunmal in einer extrem schnellen Zeit. Und das ist ja auch nicht schlimm. Es verändert sich alles permanent. Und das ist ja auch gut so. Und so ändern auch wir uns und die Beziehungen und Partnerschaften, die uns begleiten, derer wir Teil sind. So ist das halt. Wo ist das Problem?

Aber klar. Gut Ding braucht Weile. Und gerade in einer Arbeitsbeziehung wünsche ich mir Kontinuität. Ich wünsche mir Kontinuität, nicht mehr diesen permanenten Wechsel. Und selbst zwei Jahre sind mir nicht lang genug. Ich will zehn Jahre und mehr. Aber das geht nur, wenn man sich gegenseitig permanent updatet, herausfordert, Zufriedenheit und Unzufriedenheit im gleichen Moment ihres Auftauchens noch teilt, mitteilt und gemeinsam nach gemeinsamen Lösungen und Weiterentwicklungen sucht.

Und während ich das noch denke, weiß ich, das ist nicht wahr. Gerade jetzt genieße ich den permanenten Wechsel, die wieder und wieder neue Bereicherung durch andere, Lebenskontexte, Interessen, Erfahrungen, Denken, Fähgigkeiten, Vorschläge, Ideen. Ich liebe das-. Ich liebe es, in einen anderen hineinsehen zu können, hinein zu schauen, ihn/sie von verschiedenen Seiten her zu erfahren, zu betrachten, in ihn/sie einzudringen, mit ihr/ihm zu verschmelzen und wieder auf Distanz zu gehen. Ich liebe es von komplett neuen Gedankengängen, Sichtweisen, Interessen, Ästhetiken, Styles fortgerissen, mitgerissen zu werden. Dadurch neue Welten, mir unbekannte Bereiche noch fremde Szenen oder mir in Vergessenheit Geratenes oder in Entfernung Gerücktes wieder zu entdecken, zu erinnern, neu zu checken. Das liebe ich. Es fasziniert mich. Es hält mich wach, es hält mich frisch. Das ist permanente Dynamik. Das ist eines der spannendsten Dinge, was das Leben zu bieten hat. Deswegen höre ich auch so gerne zu und schaue die Leute an. Man sagt, ich fixiere die Leute. Jedes Leben, jede Person, jeder Lebensweg, Werdegang etc. ist eine Möglichkeit, eine mögliche oder unmögliche Form. Das beste Entertainment, die beste Droge, jede Entdeckung, jede Absurdität, jede erlebte Geschichte eine Show, ein Kick, ein Stich, ein Absprung in die totale Fülle aller Möglichkeiten des Universums, der Unendlichkeit des Seins.

Das alles, ja. Aber... noch besser in der Kontinuität, immer wieder neu, immer wieder von jemanden, den man meint zu kennen, überrascht werden. Gemeinsam solchen news, Neuigkeiten und Interessen nachgehen und sich dadurch verändern und sich selbst wieder überraschen.

Über längere Zeiträume und durch mehrere Projekte hindurch gemeinsamen Fragestellungen, Recherche- und Erfahrungsmomenten nachgehen, sie durchgehen. Und dann hat das auch mehr Zeit, sich zu entwickeln, ins Extrem zu gehen, extrem zu werden. Ich habe eine große Vorliebe für das Extrem. Am besten ist es, wenn man es selbst als solches nicht mehr erkennt, wenn es für einen selbst schon zur Gewohnheit wurde, wenn es für einen selbst nur logisch erscheint. Eine logische Schlussfolgerung, eine Logik, die dahin geführt hat, eine Denkfolge, die genau das verlangte, die nichts anderes zuließ, das be- oder vielmehr ergründete Extrem. Das ergründete Extrem, das als solches erst in der Reflektion der anderen als Extrem erscheint.

Erscheint, leuchtet, strahlt, er- bis verstrahlt. Und wenn es dann für die anderen allmählich zur Gewohnheit wird, dann kann man davon ausgehen, dass die Gesellschaft einen Satz gemacht hat, sich wieder ein wenig weiterentwickelt hat, im Sinne der Logik, im Sinne der Aussage, im Sinne des Auseinandersetzungsmoments. Und dann ist das ehemalige Extrem abgespielt. Durchgearbeitet. Und bevor es abgegriffen wirkt, gehen wir weiter und machen ein neues Projekt und suchen eine neue, Jetzt-Zeit bezogene Konsequenz.

Lena Wicke-Aengenheyster, Frankfurt → Würzburg → Wien am Freitag, den 13.4.2012