Performance als Vision

von Lena Wicke-Aengenheyste für PAN - Performance Art Network Vienna, Wien 06/2011

Vision - ideale Vorstellung eines künftigen Zustandes (Langenscheidt Fremdwörterbuch). Die Vision ist imaginäre künftige Realität, imaginäres künftiges Jetzt. Die Vorstellung, Formulierung, Benennung einer Realität, die bis zum Jetzt ihrer Vorstellung nicht existent war, ist ihre erste Realisierung. Performance - der Akt der Vorstellung und Kommunikation ist somit realitätstsiftend. Und jenseits des Jetzt der Vorstellung, Formulierung, Kommunikation, temporären Herstellung ist die kommunizierte Vision Idee, Gedanke, Vorbild, Zielvorstellung, die sich im Kommunikationspartner, Rezipienten, Zuschauer, Publikum fortpflanzt, weiteres Denken, weitere Unterhaltungen und weiteres Handeln beeinflusst und so das künftige Jetzt gestaltet. Performance als Ort und Zeit, Geburtsort und Geburtszeit einer künftigen Realität. Performance als temporäre, richtungsweisende Herstellung einer alternativen Realität. Performance als Realisierungsprozesse, künftige Realität gestaltendes Mittel. Performance als Vision.

Die Netzkunst- und Aktivistengruppe Yes Men kommunizieren als Sprecher von Dow Chemicals in den Hauptnachrichten BBC World am 3. Dezember 2004, dem 20. Jahrestag des Bhopalunglücks, dass Dow Chemicals, seit einigen Jahren Eigentümer der Union Carbide, sich endlich zu seiner Pflicht bekennen wolle und zwölf Milliarden US-Dollar an die Familien der mehr als 3.000 Toten und 120.000 Verletzten von Bhopal auszahlen werde. Die Inder freuen sich, Dow Chemicals wird mit Erleichterung und im Glauben an das letztlich Gute in der Wirtschaft von der Welt als vorbildliches Unternehmen gefeiert. Der Börsenwert von Dow Chemicals fällt innerhalb von wenigen Stunden um 2 Milliarden Dollar. Was ist passiert? Eine alternative Realität des Jetzt wurde im Jetzt behauptet. Performance als Vision. Die Aktion und Performance war eine temporäre, partikulare Herstellung einer Vision, eine Ente, wenn man so will eine Falschinformation – alles nur Theater .. mit massiver Wirkung. Alle haben es geglaubt, wollten es glauben oder verkauften ihre Aktien. Die Herstellung dieser temporären Realität war Beispiel, Vorbild, Zeigefinger, verkehrter Spiegel, Ente, Lüge und in dem letztlich Richtungsweiser.

Der Künstler und Choreograph Daniel Aschwanden baut auf das Gelände der Seestadt Aspern in Wien einen temporären Arbeits- und Veranstaltungsort, lädt dorthin Künstler aus Theater, Tanz, Performance, Architekten und Städteplaner zur Auseinandersetzung mit dem noch leeren Ort, in der formulierten Vision bereits gezeichneten Ort, in der medialen Propagierung eines der größten städteplanerischen Projekte Österreichs bereits existenten und en Detail portraitierten Ort. Welche Rolle spielt Performance in diesen Veränderungsprozessen, in dem Prozess der Realisierung eines von Städteplanern, Unternehmen und Politikern visionierten künftigen Lebensraumes? Inwiefern ist urban transmedia Ideengeber, Kritiker, Werbeträger, die Prozesse beeinflussende und gestaltende Einheit? Inwiefern ist Performance in dem Vision, Partikel einer Vision, vorausnehmende und richtungsweisende Realisierung der Vision? www.aspern-seestadt.at/publik

Diese künstlerischen Arbeiten sind Beispiele für das Interesse an und Fragestellungen zu Performance als Vision. Performance als Vision scheint zudem neue Aktivitäts- und Wirkungsfelder von Performancekunst aufzuzeigen. In einer Zeit des Wandels scheint gerade letzteres von ungemeiner Wichtigkeit einerseits für die Gesellschaft und die Gestaltung des künftigen Wandlungsprozesses, andererseits für eine Dingbarmachung der Kunst, Perspektiventwicklung für Kunst und Kunstschaffende auch in Bezug auf Investition, Wert, Gegenwert, Wertschätzung und Lohn.