STATEMENT & REFLEXION

Here you find some reflexion, ideas and considerations about STAATSAFFAIRE as an instrument and structure, about basic essentials and questions making art, about contemporary political and social development.

Was ist Performancekunst?

Da gibt es einen tollen Artikel von Michael Kirby "On Acting and Non Acting". Hier beschreibt Kirby die Spannbreite zwischen dem Schauspiel "Acting" und der Performance "Non Acting" ... (weiterlesen)

wie eine Skala mit vielen Schattierungen zwischen den zwei Extremen schwarz und weiss. Im Grunde geht es beim Schauspiel um die Verkörperung einer anderen Person. Christian spielt Hamlet. Bei der Performance hingegen geht es nicht darum, eine Rolle zu spielen. Ich gehe als ich auf die Bühne und stelle Fragen oder etwas zur Diskussion oder führe eine Auseinandersetzung. Im Zuge dessen bediene ich mich bestimmter Mittel und Medien, meines Körpers, meiner Stimme, des Lichts, Klänge, einer bestimmten Kleidung, Aufmachung, eines Gestus, etc.. Es geht mir also darum, etwas vorzustellen, eine Auseinandersetzung zu führen, Inhalte mitzuteilen oder Fragen zu stellen. Und in diesem Moment bin und bleibe ich, die Performerin, ich. In meinem speziellen Fall nennt man mich MONSTERFRAU, weil irgendwann einmal kleine Jungs entschieden haben, diese Bezeichnung würde mich mit meinen Eigenschaften am besten beschreiben. Ich würde niemals auf die Idee kommen, MONSTERFRAU zu spielen. Ich bin ja bereits MONSTERFRAU. So, wie ich Lena bin.

Notiz, Weihnachten 2020, Lena Wicke-Aengenheyster

Corona - Break

Wie im Techno in einem Track mit Überlänge, in dem bei 120bpm der built-up 128 bars braucht. Eine Ewigkeit verlebten wir auf dem Höhepunkt des Risers. Den Break - ... (weiterlesen)

Jetzt ist er da - der Break. Wie im Techno in einem Track mit Überlänge, in dem bei 120bpm der built-up 128 bars braucht. Inklusive Riser oder kommt der noch dazu? Na, einen Riser von mal mindestens 64 bars. Eine Ewigkeit verlebten wir auf dem Höhepunkt des Risers. Den Break - für die Allgemeinheit den Regler runter ziehen - das hat niemand gewagt - kein Politiker - kein Wirtschaftsunternehmen - kein Hero. Selbst Greta - die Botschafterin und Top-Influencerin in Sachen Umweltschutz und Mobilmachung gegen den Klimawandel - selbst Greta hat das nicht geschafft, was dieser Virus vermag.

Ruhe - ein Flugzeug-freier Himmel - leere Straßen - intensive Gespräche - eine Menge Sex - gutes Essen - Flexibilität. Berichtet wird vom smogfreien Himmel über chinesischen Städten, Fischen und Meeresbewohnern in den Kanälen Venedigs.

Wie wird es werden - danach? Nach dem Break - wie wird der Drop ausschauen? Lilo Nein sagt, es wird nichts werden wie es vorher war. Die Menschen werden sich verändern, die Gesellschaft wird sich verändern - ja klar - das wird sie eh. So und so. Aber in welche Richtung, welche Form wird sie annehmen?

Notiz, Ostern 2020, Lena Wicke-Aengenheyster

Schreiten und Verharren

… Fragmente eines Abrisses und was passiert? Die Formulierungen erscheinen mir nicht treffend, ich lösche sie, setze neu an und... bis ich bemerke, dass es nicht um die Schlechtigkeit der Welt geht, es ist nicht die Spaßgesellschaft als solche, die mein Gemüt bewegt. Der Punkt ist … das Gewaber ist... Ich treffe Niklas und ich liebe seinen Positivismus. Sein Tonfall, ... (weiterlesen)

Hip und Schick – alles läuft bestens, alles ist im flow, ich bin dabei, du bist dabei.

Negativität ist out. In ist

… Fragmente eines Abrisses und was passiert? Die Formulierungen erscheinen mir nicht treffend, ich lösche sie, setze neu an und... bis ich bemerke, dass es nicht um die Schlechtigkeit der Welt geht, es ist nicht die Spaßgesellschaft als solche, die mein Gemüt bewegt. Der Punkt ist … das Gewaber ist...

Ich treffe Niklas und ich liebe seinen Positivismus. Sein Tonfall, seine Bewegungen scheinen ein dauerndes Nach-Vorne-Schauen zu sein. Lust an Klarheit, Freundlichkeit, Naivität, kindliche Sorglosigkeit teilen sich in Tonfall und Gebärde mit. Und die konsequente Suche nach Entscheidungen, Ja zu Neuem. Während er von sich erzählt scheinen wiederholt Schwierigkeiten auf, Traurigkeiten durch. Wie ein kurzes Blitzen, Blinken. Niklas geht nicht weiter auf sie ein. Er greift zu anderem Thema, wie bei einem Kind, nur dass nicht andere ihn ablenken, er ist es selbst, der bei dem Gedanken, der ihn schmerzt, nicht verharrt, sondern voran schreitet.

Ich genieße das. Ich liebe dieses Voranschreiten, dieses Flüchtige, das immer weiter will. Mir ist sympatisch, wie er über die negativen Gedanken und Erinnerungen einfach drüber geht. Vielleicht gefällt mir das, man ist hart im Nehmen. Ich war auch immer hart im Nehmen. Wenn andere längst die Nerven verlieren, denke ich, das geht schon und es geht auch vorbei. Und doch. Und doch begreife ich ihn anders. Er ist nicht so 'hart im Nehmen' wie ich das vielleicht von mir denke oder dachte. Er ist viel verletzlicher. Und ich fürchte, dass das Voranschreiten keine Methode von Dauer ist, dass das Voranschreiten vielleicht auch ein Ausblenden sein könnte und dass diese ausgeblendeten Gedanken- und Erinnerungsblitze ihn einholen könnten, wenn er allein ist und/oder wenn es keine direkt greifbare Ablenkung gibt. Und doch... während ich das noch fürchte und mich selbst einen Moment lang überlegen und weise fühle, denke ich wiederum. Nein, ja, vielleicht, das mag sein. Leicht hat er es sicher nicht. Aber wer hat es schon leicht? Und ja, ich werde gerne da sein, in beiden Momenten, wenn er voranschreitet und wenn er für einen Moment verharrt, weil das Voranschreiten unmöglich erscheint.

Und da sehe ich mich auf mich selbst zurück geworfen. Meine Unmöglikeit des Voranschreitens im letzten halben Jahr. Ein wiederholtes Schreiten und vermeintlich auch voran, aber... wiederholt muss ich verharren und bin mir über die Richtung des Voran nicht ganz im Klaren, ich bin nicht entschlossen genug, die eine Richtung konsequent zu beschreiten. Ich... verbleibe in Gedanken.

Sue Bringer, Vienna 12/2011

Performance als Vision

Die Netzkunst- und Aktivistengruppe Yes Men kommunizieren als Sprecher von Dow Chemicals in den Hauptnachrichten BBC World am 3. Dezember 2004, dem 20. Jahrestag des Bhopalunglücks, dass Dow Chemicals, seit einigen Jahren Eigentümer der Union Carbide, sich endlich zu seiner Pflicht bekennen wolle ... (weiterlesen)

von Lena Wicke-Aengenheyste für PAN - Performance Art Network Vienna, Wien 06/2011

Vision - ideale Vorstellung eines künftigen Zustandes (Langenscheidt Fremdwörterbuch). Die Vision ist imaginäre künftige Realität, imaginäres künftiges Jetzt. Die Vorstellung, Formulierung, Benennung einer Realität, die bis zum Jetzt ihrer Vorstellung nicht existent war, ist ihre erste Realisierung. Performance - der Akt der Vorstellung und Kommunikation ist somit realitätstsiftend. Und jenseits des Jetzt der Vorstellung, Formulierung, Kommunikation, temporären Herstellung ist die kommunizierte Vision Idee, Gedanke, Vorbild, Zielvorstellung, die sich im Kommunikationspartner, Rezipienten, Zuschauer, Publikum fortpflanzt, weiteres Denken, weitere Unterhaltungen und weiteres Handeln beeinflusst und so das künftige Jetzt gestaltet. Performance als Ort und Zeit, Geburtsort und Geburtszeit einer künftigen Realität. Performance als temporäre, richtungsweisende Herstellung einer alternativen Realität. Performance als Realisierungsprozesse, künftige Realität gestaltendes Mittel. Performance als Vision.

Die Netzkunst- und Aktivistengruppe Yes Men kommunizieren als Sprecher von Dow Chemicals in den Hauptnachrichten BBC World am 3. Dezember 2004, dem 20. Jahrestag des Bhopalunglücks, dass Dow Chemicals, seit einigen Jahren Eigentümer der Union Carbide, sich endlich zu seiner Pflicht bekennen wolle und zwölf Milliarden US-Dollar an die Familien der mehr als 3.000 Toten und 120.000 Verletzten von Bhopal auszahlen werde. Die Inder freuen sich, Dow Chemicals wird mit Erleichterung und im Glauben an das letztlich Gute in der Wirtschaft von der Welt als vorbildliches Unternehmen gefeiert. Der Börsenwert von Dow Chemicals fällt innerhalb von wenigen Stunden um 2 Milliarden Dollar. Was ist passiert? Eine alternative Realität des Jetzt wurde im Jetzt behauptet. Performance als Vision. Die Aktion und Performance war eine temporäre, partikulare Herstellung einer Vision, eine Ente, wenn man so will eine Falschinformation – alles nur Theater .. mit massiver Wirkung. Alle haben es geglaubt, wollten es glauben oder verkauften ihre Aktien. Die Herstellung dieser temporären Realität war Beispiel, Vorbild, Zeigefinger, verkehrter Spiegel, Ente, Lüge und in dem letztlich Richtungsweiser.

Der Künstler und Choreograph Daniel Aschwanden baut auf das Gelände der Seestadt Aspern in Wien einen temporären Arbeits- und Veranstaltungsort, lädt dorthin Künstler aus Theater, Tanz, Performance, Architekten und Städteplaner zur Auseinandersetzung mit dem noch leeren Ort, in der formulierten Vision bereits gezeichneten Ort, in der medialen Propagierung eines der größten städteplanerischen Projekte Österreichs bereits existenten und en Detail portraitierten Ort. Welche Rolle spielt Performance in diesen Veränderungsprozessen, in dem Prozess der Realisierung eines von Städteplanern, Unternehmen und Politikern visionierten künftigen Lebensraumes? Inwiefern ist urban transmedia Ideengeber, Kritiker, Werbeträger, die Prozesse beeinflussende und gestaltende Einheit? Inwiefern ist Performance in dem Vision, Partikel einer Vision, vorausnehmende und richtungsweisende Realisierung der Vision? www.aspern-seestadt.at/publik

Diese künstlerischen Arbeiten sind Beispiele für das Interesse an und Fragestellungen zu Performance als Vision. Performance als Vision scheint zudem neue Aktivitäts- und Wirkungsfelder von Performancekunst aufzuzeigen. In einer Zeit des Wandels scheint gerade letzteres von ungemeiner Wichtigkeit einerseits für die Gesellschaft und die Gestaltung des künftigen Wandlungsprozesses, andererseits für eine Dingbarmachung der Kunst, Perspektiventwicklung für Kunst und Kunstschaffende auch in Bezug auf Investition, Wert, Gegenwert, Wertschätzung und Lohn.

von Lena Wicke-Aengenheyster for PAN, Wien 06/2011

Ritualstrukturen und ihre Wirkungen bei SlipKnot

Eine Form der organisierten Verbotsübertretung, der Entfesselung von Gewalt, einer bestimmten Kraft, sowie der inszenierte Akt der Opferung, die Verschmelzung mit etwas Anderem und die damit verbundene Herstellung einer Gemeinschaft findet sich im Konzertleben der Popularmusik. Ein Nu-Metal- Konzert kann als positiver Ritus gelten, ... (weiterlesen)

Auszug aus „Ritualstrukturen und ihre Wirkung in performativen Formen“ von Lena Wicke-Aengenheyster zur Veröffentlichung auf skug.at motiviert durch Michael-Franz Woels

Eine Form der organisierten Verbotsübertretung, der Entfesselung von Gewalt, einer bestimmten Kraft, sowie der inszenierte Akt der Opferung, die Verschmelzung mit etwas Anderem und die damit verbundene Herstellung einer Gemeinschaft findet sich im Konzertleben der Popularmusik. Ein Nu-Metal- Konzert kann als positiver Ritus gelten, der zur Einhaltung der Verbote im alltäglichen Leben, in der profanen Zeit beiträgt, sowie eine Begegnung mit dem Realen realisiert. Das kommt der von René Girard proklamierten These einer Krise des Opferkultes ein Stück weit entgegen, in dem ein solches Konzert als alternative Formen des Opferkultes, an denen jedoch nicht die Gemeinschaft als Ganzes, sondern immer nur eine bestimmte Interessensgemeinschaft teil nimmt, betrachtet werden kann...Eine Analyse des Videos Duality von Slipknot.

Eine Besonderheit ist die bewusste Inszenierung des "Bösen", die das Hören der Musik, das Anschauen der Videos, den Gang zum Konzert an sich schon zur Grenzüberschreitung machen. Gewalt wird dargestellt, gefordert und ist gleichzeitig des Verwürfnisses wert. Im aktuellen Musikgeschäft hebt sich die Gruppe dadurch nur bedingt von anderen der gleichen Szene ab. Etwas, das von der Gesellschaft nach Georges Bataille durch die Verbote und zur Ermöglichung eines klaren Bewusstseins in der profanen Zeit verdrängt wurde, wird hier mit sämtlichen Mitteln der Inszenierung - Musik, Text, Kleidung, Masken, Körpertätowierungen, Licht und im Falle einer Videoproduktion der Örtlichkeit und Dekor - zum Ausdruck gebracht.

Nu-Metal ist eine Bezeichnung, die seit den späten 90er Jahren für ein großes Segment härterer Rockmusik verwendet wird und die zuvor als Crossover im Spannungsfeld von Punk, Hardcore, Grunge und Independent definiert wurde. Der Gesang wird vornehmlich geschrien, gerappt oder gewimmert. Dies erfolgt meist in ein und demselben Song. Einfache Akkordfolgen brillieren durch Lautstärke und Intensität des Anschlags, sie dienen vor allem dem Rhythmus. Dagegen werden die E-Bässe für tiefe Stimmungen zum Teil fünfsaitig vermehrt eingesetzt. Die Verwendung des Schlagzeugs weist Einflüsse durch die Breakbeats des Hiphop auf und ein DJ kommt zum Einsatz. Die Musik kann man allgemein als „schlicht böse“ und „aggressiv“ und zum Teil „beängstigend“ bezeichnen. Der Name SlipKnot wird nach Aussage eines Fans in den zahlreichen Internetforen von dem Bandmitglied Corey mit der Vorstellung von einer Person, die an einen Pfahl gefesselt sei, um den alles Böse herumschwappe, verbunden. Der Knoten halte die Person jedoch fest. Diese Situation vergleicht Corey dem Fan zufolge mit der Musik von SlipKnot, Zitat Corey: „Sie erdrückt dich und du kannst nicht entkommen.“

Die Texte von SlipKnot beschäftigen sich vorrangig mit dem Schmerz der Zerissenheit, Unzufriedenheit, dem Hass und der Todessehnsucht. Sie werden an ein Gegenüber adressiert, das meist unbekannt bleibt und als mächtiger gilt. Dieses YOU ist verantwortlich für den Schmerz und muss dementsprechend die Konsequenzen des handelnden, reagierenden Ichs ertragen. Darüber hinaus kommt es zu Aufrufen zur Gewalttätigkeit als einziges Mittel, den eigenen Schmerz zu veräußerlichen und ihm zu entkommen, jedoch werden sie als unwirksame Lösung des Problems innerhalb eines Liedes meist wieder negiert, und die Gewalt richtet sich aufs neue gegen das Subjekt selbst.

Der Schmerz erscheint in den Texten jedoch als ambivalent. Einerseits wird versucht, diesem zu entkommen, andererseits wird er bewusst gesucht und stellt schließlich die Begründung dar, den herbeigesehnten Tod nicht zu sterben. Dem Schmerz und der Zerissenheit werden im Besonderen durch Worte wie Blut, Knochen, Fleisch, Haut, und Titeln wie „Wait and Bleed“, „Mate.Feed.Kill.Repeat“ Ausdruck verliehen. Im Allgemeinen wird der eigene Körper als zerrissener Körper wiederholt ins Zentrum des Interesses gestellt.

Maskierung und Tätowierung

SlipKnot zeichnet sich dadurch aus, dass die Band anfänglich bei allen Auftritten und Interviews Masken getragen hat. Aufgrund von Nebenprojekten, die einige Bandmitglieder betreiben, wird diese Regel mittlerweile etwas lockerer gesehen. Dies gilt jedoch als Novum. Die Information kursiert, die Masken stellten jedes Bandmitglied im Todeszustand dar und würden von diesen als Erweiterung ihrer Persönlichkeit angesehen.

Wie man erkennen kann, handelt es sich bei den Masken um einen langhaarigen sich im Verfallszustand befindenden Totenschädel der animalische Züge trägt und den Eindruck des Lachens erweckt. Um eine vampirähnliche Schminkmaske in Weiss mit schwarzen Augenumrandungen und einer Kutte. Um eine Maske, die der Hannibal Lectors in Das Schweigen der Lämmer gleicht, um eine mittelalterliche Pestmaske mit einer extrem langen Nase, die auf die Lüge, die Täuschung verweist, jedoch etwas Herausbrechendes zum Vorschein bringt und die zudem aufgrund ihrer Beschaffenheit aus Leder stark an Comedia dell´arte erinnert. Hinzu kommen eine weiße Gauklermaske, eine die einem Helm einer Ritterrüstung mit engen strichförmigen Augenschlitzen gleicht, jedoch von extrem langen von diesem Helm abstehenden Nägeln geziert wird. Shawn Graham trägt eine blutverschmierte Clownsmaske und seine Haare dazu offen.

Die Masken lassen die Körperöffnungen sehr auffällig erscheinen. Jedoch zeigen einige die Öffnungen als verschlossen, als wohne ihr Inneres in einem Gefängnis, dessen Gitterstäbe es zu sprengen gilt. Oder die Öffnungen sind wie bei dem Ritterhelm extrem eng gehalten, jedoch tritt das durch den Helm Eingesperrte in spitzer, aggressiver, sich behauptender Weise durch die Nägel zu Tage. Auch die Oberflächenbeschaffenheit zeugt von dieser inneren Gewalt, zerstörerischen Kraft. Diese tritt in Form von Pestmahlen als Krankheitserreger hervor oder scheint an der Oberfläche zusammengenäht und diese massive Kraft forciert in Bann zusammen zu halten.

Das heißt, die Abgeschlossenheit, die eine forciert zusammengehaltene ist, zeigt die Gewaltsamkeit, die zur Zerstörung dieser Abgeschlossenheit führt. Die Masken tragen dazu bei, die Thematik der Texte zu unterstreichen. Sie sind Zeichen einer Kraft, die zur Grenzüberschreitung führt, derer das erlebende Subjekt jedoch zum Opfer wird. Dabei handelt es sich um das Motiv der Texte. Der Unterschied jedoch ist, dass diese Kraft kein unbekanntes Gegenüber, kein äußeres „YOU“ darstellt, sondern ein innerliches, Fremdes. Somit wird das YOU mehrdeutig, der große, unbekannte Andere, die Außenwelt, die Gesellschaft sowie gleichzeitig der große unbekannte Andere in uns selbst, der Sänger, der Hörer, der Fans etc. selbst.

Und doch bleibt das von SlipKnot thematisierte YOU in jedem Fall ein Unbekanntes, das, insofern Bataille den menschlichen Geist als heilig ansieht oder Lacan von der Leerstelle, dem Spalt, dem Bruch im Unbewussten und dem diesen entspringenden Trieb zur Überschreitung sowie von dem hinter dem Automaton liegenden Realen spricht, benannt werden kann. Im absoluten Sinne zeigen die Masken die Überschreitung des Lebens im Abbild des eigenen Todes und somit eine anwesende eigene Abwesenheit, welche von der Gewaltsamkeit, die Zerstörung mit sich bringt, zeugt und Angst und Schrecken bewusst machen.

Die Gitterstäbe, die den Mund verbarrikadieren, die engen Schlitze des anliegenden Helmes können bezogen auf die Gesellschaft als Abbilder der Verbote und Regeln gelten. Sie verdrängen etwas, das immer zu hervortreten möchte, die Kraft, die hier im Sinne Caillois eine zerstörerische Kraft ist, den mit dieser verbundenen Schrecken, den Bataille ausführlich thematisiert. Die Gitterstäbe, die den Mund verbarrikadieren, sind letztlich Ausdruck eines Schmerzes, der in der besonderen Zeit des Nu-Metals-Konzert gemeinschaftlich begegnet wird. Jedoch nicht im Sinne einer tröstenden Andacht, sondern im gleichen Maße, in dem der Schmerz und diese Kraft, die ihn verursacht, das unbekannte YOU, erlebt wird. Die Gitterstäbe also wollen gesprengt, die Mauern sollen eingerissen werden, das Übertreten der eigenen Abgeschlossenheit soll zu einer Verschmelzung mit dem Anderen führen.

Die so Bild gewordenen Gesetze, Regeln und Verhaltenskonventionen sollen negiert werden. Die Begenung dieses gemeinsam empfundenen Schmerzes, dessen Umwandlung in eine Kraft, die bei der Verbotsübertretung und der Grenzüberschreitung zum inneren Absprung führt, wird im Konzert als Masse und in der Masse zelebriert.

Die Aufhebung der Unterschiede der Bandmitglieder zugunsten des Ausdruckes des gemeinsam empfundenen Schmerzes bis hin zum gemeinsamen Willen, diesem Ausdruck zu verleihen, wird durch das Tragen gleicher Anzüge in Farbe des Blutes vorangetrieben. Indem die Band jedoch Nummern und Barcodes auf diesen kennzeichnet, verweist sie wiederum auf die Reduktion des Individuums auf einen Warenwert innerhalb der Gesellschaft, sowie auf die korrupte Musikvermarktung. Somit können die Anzüge außerdem als Protest gegen die in der Musikindustrie geltenden Gesetze des Mächtigeren, welche nicht selten zur Ausbeutung der Musiker führt, angesehen werden.

Bei den abnehmbaren Masken bleibt es nicht. Jedes der Bandmitglieder kann Tätowierungen vorweisen, die der von ihnen mit ihrer Musik verbundenen Ernsthaftigkeit Ausdruck verleihen. Das japanische Zeichen für Tod und von Flammen gezeichnete Schriftzüge oder Gesichter werden in den Körper eingeschrieben. Sie verweisen auf das Jenseitige, das sich, den Texten und Masken zufolge, durch den Schmerz in ihrem Innenleben zur Wirkung kommt. Wie schon bezüglich des Fußballs erwähnt, dienen diese Symbole nicht nur dazu, innere Einstellungen mitzuteilen, wie in diesem Fall die Bandmitglieder über Internet ihren Fans, sondern eine solche innere Einstellung in den Körper einzuschreiben und ihr somit ein Leben lang verbunden zu sein.

Analyse des Videos Duality

Zur genauen Untersuchung der Inszenierung der Grenzüberschreitung werden ich dem Video des gleichnamigen Songs Duality besondere Aufmerksamkeit schenken. Auch kann man sagen, das Video gebe einen Eindruck des Verhaltens des Publikums eines Konzertes, sowie der ambivalenten Beziehung zwischen Fangemeinde und Band.

Der Auftakt des Videos wird mit dem Bild eines äußerst unzufrieden blickenden vierzehn- bis fünfzehnjährigen Jungens mit nacktem Oberkörper gegeben. Er ist also von der Altersgruppe, der die meisten Fans angehören, der die Band in Deutschland aktuell am Bekanntesten sein dürfte und bei der sie den größten Teil ihrer Hörerschaft findet. Der nackte Körper lenkt den Blick auf das Reale. Zu diesem Bild hört man den Satz „I push my fingers into my ...EYES“. In dem Moment, in dem das letzte Wort gesungen wird, beginnt der Junge loszurennen. – Schnitt - Das nächste Bild läßt den Blick frei auf die Masse, welcher der Junge angehört, und die vornehmlich mit nacktem Oberkörper in Wut und Rage, ohne Rücksicht auf Verluste, sei es in Form von Verletzungen körperlicher Art oder der Beschädigung von Gegenständen, in Richtung Kamera stürmt. Die Musik bleibt noch relativ ruhig. Der Text macht deutlich, dass der Finger, der in das Auge gedrückt wird, die einzige Möglichkeit darstellt, den Schmerz zu lindern. „Its the only thing / That slowly stops the ache“. Auf das Wort „ache“ zoomt die Kamera auf die Glasscheibe, hinter der sie sich befindet, um dann wieder die stürmende, unmutige und zerstörerische Masse hinter dem Fenster scharf zu zeigen.

Der Bruch, mit dem der Schmerz verbunden ist, wird auch im Text deutlich. „But its made of all / The things I have to TAKE“ Der Schmerz ist aus all dem gemacht, das der Sänger, das textuelle Ich, zu nehmen hat, auf der bildlichen Ebene ist dies der Bruch, die Distanz, das Innen und das Außen, das Fenster, das Optische, durch das springende, fleischbetonte Körper zu sehen sind. Dieser Bruch führt schließlich zum Einbruch. Vorerst jedoch löst das Wort TAKE den Wechsel in der Musik aus. Das Schlagzeug setzt musikalisch als auch bildlich im Innern des Raumes ein, auf das Schlagzeug wird drauf gehauen, die Kopfbewegung des Schlagzeugers unterstützt die Intensität des schlagenden Eindruckes, dem folgt das Bild der ersten grauenvollen Maske, des Sängers, des textuellen Ichs, das eine zusammengenähte Fratze zeigt. Im Inneren des Raumes ist die Menge am Toben. Die Körper springen, schleudern ihren Kopf in Richtung Boden, scheinen zu kreischen und zu schreien, einer der begehrenswerten Matadoren ührt die Geste eines Schlages mit einem Baseballschläger über die Köpfe der rasenden Masse hinweg aus. „Jesus, it never ends / It works it's way INSIDE“.

Mit dem Wort „inside“, das langgezogen gesungen wird, zeigt die Kamera einmal die Maske eines der Bandmitglieder, die einen schwarzen Totenschädel mit langen Haaren, bei dem Augen- und Mundhöhle als schwarze Löcher formidable zu erkennen sind, darstellt sowie direkt im Anschluss die Maske eines weiteren Bandmitglieds, die aus einem Haufen langer Nägel, welche vom Kopf senkrecht abstehen, zeigt. „If the pain goes on..“. folgen auf musikalischer Ebene mehrere sich rhythmisch gleichende von Schlagzeug und Gitarren gleichzeitig ausgeführte Schläge. Und so, wie der Finger in das Auge gedrückt wird, bedient sich die Menge verschiedener Gegenstände, die Glasscheiben einzudrücken, einzuschlagen oder die Mauern und die Decke des Gebäudes einzureißen, um die Schwelle überschreiten zu können. Die Schwelle kann also nur per Destruktion der vorhanden Grenzen überschritten werden. Wird die Glasscheibe nicht eingeschlagen, so klatscht ein Körper dagegen, dessen Gesicht sich von Gier und Aggression verzerrt zeigt. Zu diesem Treiben spricht der Sänger in aller Ruhe:

I have screamed until my veins collapsed / I’ve waited as my times elapsed / Now all I do is live with so much fate / I wished for this / I bitched at that / I’ve left behind this little fact / You cannot kill what you did not create / I’ve gotta say what I’ve gotta say and then I swear I'll go away / But I cant promise you'll enjoy the noise / I guess I'll save the best for last / My future seems like one big past / You are left with me cuz you left me no choice

Das angesprochene Gegenüber wird nicht gezeigt, vielmehr wird der Eindruck vermittelt, der Text könne von allen Beteiligten gesprochen werden, auch zeigt eine Einstellung den Sänger mit einigen Eindringlingen den Refrain gemeinsam in das Mikrofon singen. Das Gegenüber bleibt somit der Große Unbekannte. Neben dem Vorhaben zu verschwinden wird die Möglichkeit der Zerstückelung, der Trennung der Haut vom Knochen vorgeschlagen:

Put me back together / Or separate the skin from bone / Leave me all the pieces / Then you can leave me alone / Tell me the reality is better than the dream / But I’ve found out the hard way / Nothing is what it seems

Mit Ende des zum dritten Mal gesungenen Refrains, bei dem es jetzt heißt, „If the pain goes on / I’m not gonna make it!“, führt der Sänger eine Einhalt gebietende Geste aus. Dieser folgen eine Reihe von Einstellungen, die alle Beteiligten als verausgabt, ermüdet, fast traurig zeigen. Dazu greift sich einer der Beteiligten an den Kopf und der Sänger spricht:

All I’ve got / All I’ve got Is Insane / All I’ve got / All I’ve got Is Insane /All I’ve got! / All I’ve got Is Insane! / All I’ve got! / All I’ve got Is Insane!

Dem folgt jedoch aufs neue das Rasen und Toben sowie der zum letzten Mal gesungene Refrain mit dem Ende der Verneinung, bleibt der Schmerz vorhanden, so werde ich es nicht tun.

I push my fingers into my eyes/ It’s the only thing / That slowly stops the ache / But it’s made of all / The things I have to take / Jesus it never ends / It works it's way inside / If the pain goes on / I’m not gonna make it.

Es wird deutlich, dass durch Hinzufügen von Schmerz die Schmerzempfindung durch das Gegebene, das genommen werden muss, ausgelöst, gelindert werden soll. Diese Motivik findet sich im Fort-Da-Spiel, bei dem der mütterlichen Abwesenheit letztlich mit der kindlichen Abwesenheit geantwortet und somit durch diese Überschneidung erstere verwunden wird. Eine Motivik, die ich als Ritualstruktur bezüglich einer der Wirkung des Rituals zur Herstellung einer Ordnung der Gemeinschaft geltend machen möchte. Das Verhältnis zu Schmerz und Tod ist in dem Song ein ambivalentes. „I wished for it / I bitched at that“. Letztlich steht das Vorhaben des eigenen Todes, jedoch stellt der Schmerz schließlich die Begründung für die Verneinung jeglichen selbstzerstörerischen Vorhabens dar.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Band SlipKnot mit diesem Video eine Begegnung mit dem Realen, dem Schmerz, dem zerstörbaren und zerstörten Körper, dem Tod, der dem Realen inne wohnt, als Grenzüberschreitung im Sinne der nackten Körper, die sich bis zum Umfallen verausgaben sowie gewaltsam in einen Raum eindringen, in dem sich der zerstörte und tote Körper in Form diverser Masken befindet, thematisiert und darstellt. Dieser Raum ist auf der Bildebene der Raum hinter dem Glas, hinter dem Fenster, auf der textuellen Ebene ist es der Bruch, das Fehlen im Auge. Das Auge als Symbol Gottes, als Bild einer Kluft, der Blick des Anderen als Objekt des Begehrens, dessen Abwesenheit mit der Zerstörung der eigenen blickenden Anwesenheit geantwortet wird. Diese Begegnung hat letztlich die Rückkehr zu den Grenzen zur Folge. Im Video wird diese Rückkehr mit dem Erliegen allen Treibens aufgrund des Zeichens einer Herrscher- und Opferfigur in einem, die bestimmt, jedoch auch vor übertriebener Verausgabung schützt, und der Ermüdung dargestellt. Diese verursacht das Einkehren der Ruhe. Diese Ruhe ist jedoch nicht von Dauer.

http://www.youtube.com/watch?v=6fVE8kSM43I&ob=av2

Auszug aus "Ritualstrukturen und ihre Wirkung in performativen Formen" von Lena Wicke-Aengenheyster /Giessen, Singen und Weilburg im Januar 2006

Dank an Michael-Franz Woels für die Erstellung des Auszuges und die Motivation zur Veröffentlichung

Warum Souveränität Jetzt?

Die wenigsten Menschen begreifen sich heutzutage als souverän. Weit verbreitet scheint mir die Perspektive der Begrenztheit, der Begrenzung, ... (weiterlesen)

Ich denke, Souveränität ist ganz entscheidend für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Die einzig sinnvolle Weiterentwicklung erfolgt durch die Entwicklung eines jeden Einzelnen. Die wenigsten Menschen begreifen sich heutzutage als souverän. Weit verbreitet scheint mir die Perspektive der Begrenztheit, der Begrenzung, der permanenten Formatierung durch ein Vieles an Einflüssen, Ansprüchen und Wertvorstellungen. Und viel gravierender ist die damit zusammen hängende Empfindung des eigenen Ungenügens bei großen Teilen der Bevölkerung durch alle Schichten hinweg. Eine allumgreifende, umfassende Depression. Der permanente Vergleich eines jeden Selbst mit medial überdeutlich propagiereten Idealvorstellungen von Schönheit, Karriere, Potenz und Reichtum. Sowie die permanente Suggestion der realen Erreichbarkeit propagierter Zielwerte mittels Konsum. Eine Schlange des Materialismus, die sich in den Schwanz beist. Drum erleben wir eine zunehmende Suche nach Alternativen. Leider legen diese häufig die totale Abkehr von dem Anderen nahe anstatt die Zuwendung und aktive Gestaltung einer Veränderung zu propagieren. Ich sehe in dieser Entwicklung eine Spaltung der Gesellschaft. Die Vereinigung von materiellem und ideellem Streben muss das Ziel sein, gemeinsam, Hand in Hand, ohne kitschig werden zu wollen. Nur dadurch entsteht Perspektive, Lebenswert. Ich rufe eindeutig NICHT zur Revolution auf, sondern zur REBELLION jedes Einzelnen. Eine umfassende Rebellion, eine Rebellion, welche mit der Vernichtung der Heiligkeit von Geld beginnt und in sozial verträglicher Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit mündet. Ein Ineinandergreifen von Innen und Außen, eine Überwindung von Gegensätzen in ihrer Vereinigung. Eine Perspektive der Souveränität.

Sue Bringer, Fulda und Wien, 02/2011

Die MONSTRANZ des Subjekts

Bei aller Entblößtheit, bei all dem, was aktuell als „Pornographisierung der Gesellschaft“ oder „Medikalisierung der Schönheit“ diskutiert wird, bei all den Versuchen von Frauen, sich und ihren Körper bedingungslos dem Regime der Sichtbarkeit zu unterwerfen, stellt sich mir doch der Eindruck ein, dass Nacktheit nie so kleidsam war wie heute. Die Nackten sind nicht mehr nackt, ... (weiterlesen)

MONSTERFRAU -Underground Opera und THIS IS NOT A BURKA! Just clothes. von Lena Wicke-Aengenheyster

von Noah Holtwiesche

Bei aller Entblößtheit, bei all dem, was aktuell als „Pornographisierung der Gesellschaft“ oder „Medikalisierung der Schönheit“ diskutiert wird, bei all den Versuchen von Frauen, sich und ihren Körper bedingungslos dem Regime der Sichtbarkeit zu unterwerfen, stellt sich mir doch der Eindruck ein, dass Nacktheit nie so kleidsam war wie heute. Die Nackten sind nicht mehr nackt, sie sind vielmehr in ihre Nacktheit gekleidet. Anders gesagt ist die Dynamik der Entblößung zum Erliegen gekommen: Der nackte Körper gibt nichts mehr preis, verspricht nichts mehr als das, was ohnehin evident ist. Es ist, als wenn Jean Baudrillard doch mal mit einer These aus den 1980er Jahren recht gehabt hätte, als er in "Die Szene und das Obszöne" vermerkte, dass die allgegenwärtige Sichtbarkeit, wie sie paradigmatisch im Porno zum Ausdruck kommt, die Szene eliminiert, auf der das Subjekt sich zu zeigen gibt.

Es ist dieser Zusammenhang, in dem Lena Wicke-Aengenheysters Projekte THIS IS NOT A BURKA! Just clothes und Monsterfrau einen symptomatologischen Wert offenbaren. Denn anhand dieser Projekte werden die Koordinatenverschiebungen sichtbar, die in unserer Gesellschaft das Zeigen des Körpers, insbesondere des weiblichen, betreffen.

In Monsterfrau, einer Underground opera zusammen mit Sascha Neudeck, ist das Publikum mit einer gorgonischen Gestalt konfrontiert, die mit bedrohlichen großen, wulstig-geschwürartigen Sexualsymbolen ausgestattet ist. Diese koppeln die sexuelle Identität gleichsam ab vom Körper der Performerin, machen sie zu Partialobjekten, die vom Körper der Performerin gleichsam subtrahiert werden müssen, sodass lediglich die Stimme als unheimliches Objekt übrig bleibt, eine Stimme, die eine kreatürliche Souveränität des Subjekts bezeugt, ohne noch in die kulturellen Stereotypen etwa der von der femme fatale abgleiten zu können.

In THIS IS NOT A BURKA! Just clothes bewegt sich Lena Wicke-Aengenheyster monatelang im öffentlichen Raum ausschließlich in dem, was gemeinhin und fälschlicherweise eine Burka genannt wird: eine Niqab, die nur einen kleinen Sehschlitz und Hände und Füße unverdeckt läßt und sonst den gesamten Körper in einen großen Schleier hüllt. Nur wenige Stunden an Wicke-Aengenheysters Seite machen deutlich, wie schwierig ein Alltag in Burka ist. Die Verhüllung produziert ständig Reaktionen, Kopfschütteln und Getuschel sind noch das Geringste, verbale Ausfälle, Drohungen und hitzige Diskussionen nicht selten, um so mehr, wenn das ganze als ein Kunstprojekt bekannt wird. Das Projekt kündigt offensichtlich den Konsens auf, der in unserer Gesellschaft über die Verschleierung herrscht und sowohl linke wie rechte Argumente zusammenbringt. Dieser Konsens äußert sich darin, die verschleierte Frau als Aggressorin und Gefahr zu verstehen, zugleich sie aber als Opfer islamischer Frauenfeindlichkeit zu stilisieren. Was beide politische Richtungen eint, ist die Unfähigkeit, die Burka auf das Regime der Sichtbarkeit zu beziehen, dem sie selbst unterworfen sind. Indem Wicke-Aengenheyster das konfliktträchtige Kleidungsstück für die Zwecke ihrer Kunst apropriiert, die politische Symbolkraft geradezu negiert, artikuliert sie dise andere Dimension der Verschleierung, die im politischen Theater unbeachtet bleibt.

Das gesellschaftliche Symptom, das beide Projekte umspielen, zugleich bearbeiten und mit einer radikalen Alternative begegnen, besteht in der Tilgung der Spuren des Subjekts aus dem Feld des Sichtbaren: Das Sichtbare zeigt nichts, weil sich kein Subjekt mehr hinter dem Zeichen verbirgt. Lena Wicke-Aengenheysters Projekte instituieren das Subjekt wieder gegen das Regime einer All-Sichtbarkeit, indem sie zwei entgegengesetzte Strategien radikalisieren: Einerseits die Demonstration des eigenen Entzugs aus diesem Feld des Sichtbaren, die Subtraktion des Subjekts aus dem herrschenden All-Sichtbarkeit. Während so bei THIS IS NOT A BURKA! Just clothes das Subjekt gerade in seiner Nicht-Sichtbarkeit erscheint, reaktiviert Monsterfrau die Erfahrung eines Zuviel-an-Sichtbarem, jene Dimension des Obszönen oder Schamlosen also, die als Konfrontation mit einer zu großen Sichtbarkeit des Subjekts erlebt wird.

Womit beide Projekte sich folglich auseinandersetzen, ist der Modus der Ostentation. Vor dem Hintergrund der All-Sichtbarkeit sind Burka und in Objekte partialisierter Körper schlichtweg Monstrositäten, weil sie entweder ein Übermaß oder ein Zuwenig an Sichtbarkeit inszenieren. In "Heideggers Hand (Geschlecht II)" hat Derrida die obszöne Dimension des sichtbaren Zeichens anhand der Etymologie des Wortes "montre", dem demonstrieren, Monster und Monstranz ebenfalls zugehören, nahegelegt, dass die Funktion des Zeichens gerade in einer gewissen Übermäßigkeit des Sichtbaren, einer Unheimlichkeit liegt. Wenn sich nun die Vorzeichen verkehrt haben und es in unserer Gesellschaft nichts obszöneres gibt, als seinen eigenen Körper zu verhüllen, dann weil dieser Akt der Verschleierung ein widerständiges Subjekt markiert, ein Subjekt, das sich dem Imperativ der All-Sichtbarkeit nicht unterwirft. Wie eine Monstranz, die in der Mitte leer ist, um die Hostie zu halten, markiert der Schleier im Gebrauch der Künstlerin eine Lücke, einen Entzug, in dem das Subjekt sich zu verstehen gibt. Und diese Tiefendimension wird bei Monsterfrau ebenfalls, wenn auch auf nahezu entgegen gesetzter Weise erzielt, wenn die sexuierenden Partialobjekte verdoppelt und vom Körper der Performerin abgespalten werden und so die Frage aufwerfen – die sich im Hören der Stimme verdichtet – nach dem, was nicht im Bestand des Sichtbaren gesichert ist, nach dem, was eine Dimension des Unheimlichen evoziert: dem Subjekt.

Noah Holtwiesche, Wien 01/2012, veröffentlichts auf skug.at

immer wieder neu

Wir leben in einer super schnelllebigen Zeit. Du entscheidest Dich ja immer wieder neu – dafür oder dagegen.“, sagt meine Mutter, die seit mehr als 25 Jahren mit dem einen Mann verheiratet ist. Ja, und wenn die Interessen auseinander gehen und man keine gemeinsamen Ziele mehr hat oder die Lebensvorstellungen allzu sehr different sind oder werden und man sie nicht nur nicht mehr teilen möchte ... (weiterlesen)

Wir leben in einer super schnelllebigen Zeit. Alles ist permanent in Veränderung, alles ist im Fluss. „Du entscheidest Dich ja immer wieder neu – dafür oder dagegen.“, sagt meine Mutter, die seit mehr als 25 Jahren mit dem einen Mann verheiratet ist. Mit dem zusammen sie vier Töchter hat. Mit dem sie zusammen gekommen ist, als sie 16 Jahre alt war. Und mit dem sie immer noch zusammen ist, ohne Unterbrechung dieser eine Mann. „Du entscheidest Dich immer wieder neu“, sagt sie, während sie erzählt, wie sie, als wir Kinder alle noch klein waren und ihr Mann, mein Vater, ungeduldig und unzufrieden war mit der Situation, mit der permanenten Fremdbestimmung und den Anforderungen durch die Kinder, sie dachte, irgendwann schmeiß ich den Typen raus. Sie entschied sich immer wieder neu... nur entschied sie immer wieder für das Zusammensein mit diesem Mann, für ein Leben mit ihm zusammen.

Ich sage, „wir leben doch in dieser krass schnellen Zeit, alles geht so schnell und alles verändert sich die ganze Zeit und so verändere auch ich mich und der Andere verändert sich auch. Und die Interessen, die Gedanken, die Wünsche und Ziele... Da muss man sich halt austauschen, da muss man kommunizieren, es ist ja auch alles veränderbar. Vielleicht kann man das neue Interesse mit dem Anderen teilen, vielleicht hält er/sie die neue Idee für eine gute Idee und gibt ihr und den ihr anhängenden Wünschen und Vorstellungen nochmal wieder einen ganz anderen drive, der mich wiederum vom Hocker reißt.

Ja, und wenn die Interessen auseinander gehen und man keine gemeinsamen Ziele mehr hat oder die Lebensvorstellungen allzu sehr different sind oder werden und man sie nicht nur nicht mehr teilen möchte sondern auch keine Lust hat, sie andersweitig zu akzeptieren und mehr oder weniger mit zu tragen, dann... ja, dann trennt man sich halt. So ist das eben. Wir leben nunmal in einer extrem schnellen Zeit. Und das ist ja auch nicht schlimm. Es verändert sich alles permanent. Und das ist ja auch gut so. Und so ändern auch wir uns und die Beziehungen und Partnerschaften, die uns begleiten, derer wir Teil sind. So ist das halt. Wo ist das Problem?

Aber klar. Gut Ding braucht Weile. Und gerade in einer Arbeitsbeziehung wünsche ich mir Kontinuität. Ich wünsche mir Kontinuität, nicht mehr diesen permanenten Wechsel. Und selbst zwei Jahre sind mir nicht lang genug. Ich will zehn Jahre und mehr. Aber das geht nur, wenn man sich gegenseitig permanent updatet, herausfordert, Zufriedenheit und Unzufriedenheit im gleichen Moment ihres Auftauchens noch teilt, mitteilt und gemeinsam nach gemeinsamen Lösungen und Weiterentwicklungen sucht.

Und während ich das noch denke, weiß ich, das ist nicht wahr. Gerade jetzt genieße ich den permanenten Wechsel, die wieder und wieder neue Bereicherung durch andere, Lebenskontexte, Interessen, Erfahrungen, Denken, Fähgigkeiten, Vorschläge, Ideen. Ich liebe das-. Ich liebe es, in einen anderen hineinsehen zu können, hinein zu schauen, ihn/sie von verschiedenen Seiten her zu erfahren, zu betrachten, in ihn/sie einzudringen, mit ihr/ihm zu verschmelzen und wieder auf Distanz zu gehen. Ich liebe es von komplett neuen Gedankengängen, Sichtweisen, Interessen, Ästhetiken, Styles fortgerissen, mitgerissen zu werden. Dadurch neue Welten, mir unbekannte Bereiche noch fremde Szenen oder mir in Vergessenheit Geratenes oder in Entfernung Gerücktes wieder zu entdecken, zu erinnern, neu zu checken. Das liebe ich. Es fasziniert mich. Es hält mich wach, es hält mich frisch. Das ist permanente Dynamik. Das ist eines der spannendsten Dinge, was das Leben zu bieten hat. Deswegen höre ich auch so gerne zu und schaue die Leute an. Man sagt, ich fixiere die Leute. Jedes Leben, jede Person, jeder Lebensweg, Werdegang etc. ist eine Möglichkeit, eine mögliche oder unmögliche Form. Das beste Entertainment, die beste Droge, jede Entdeckung, jede Absurdität, jede erlebte Geschichte eine Show, ein Kick, ein Stich, ein Absprung in die totale Fülle aller Möglichkeiten des Universums, der Unendlichkeit des Seins.

Das alles, ja. Aber... noch besser in der Kontinuität, immer wieder neu, immer wieder von jemanden, den man meint zu kennen, überrascht werden. Gemeinsam solchen news, Neuigkeiten und Interessen nachgehen und sich dadurch verändern und sich selbst wieder überraschen.

Über längere Zeiträume und durch mehrere Projekte hindurch gemeinsamen Fragestellungen, Recherche- und Erfahrungsmomenten nachgehen, sie durchgehen. Und dann hat das auch mehr Zeit, sich zu entwickeln, ins Extrem zu gehen, extrem zu werden. Ich habe eine große Vorliebe für das Extrem. Am besten ist es, wenn man es selbst als solches nicht mehr erkennt, wenn es für einen selbst schon zur Gewohnheit wurde, wenn es für einen selbst nur logisch erscheint. Eine logische Schlussfolgerung, eine Logik, die dahin geführt hat, eine Denkfolge, die genau das verlangte, die nichts anderes zuließ, das be- oder vielmehr ergründete Extrem. Das ergründete Extrem, das als solches erst in der Reflektion der anderen als Extrem erscheint.

Erscheint, leuchtet, strahlt, er- bis verstrahlt. Und wenn es dann für die anderen allmählich zur Gewohnheit wird, dann kann man davon ausgehen, dass die Gesellschaft einen Satz gemacht hat, sich wieder ein wenig weiterentwickelt hat, im Sinne der Logik, im Sinne der Aussage, im Sinne des Auseinandersetzungsmoments. Und dann ist das ehemalige Extrem abgespielt. Durchgearbeitet. Und bevor es abgegriffen wirkt, gehen wir weiter und machen ein neues Projekt und suchen eine neue, Jetzt-Zeit bezogene Konsequenz.

Lena Wicke-Aengenheyster, Frankfurt → Würzburg → Wien am Freitag, den 13.4.2012

Economy and sustainability in multidimensional context

AC/DC - Alle anderen sollen das wissen und ich zeig's ihnen Mal für Mal immer wieder.vIch bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil. ... (weiterlesen)

Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil.

Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil.

Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil. Ich bin geil.

Ich bin geil geil geil geil geil geil geil geil

geil geil geil geil geil geil geil geil

Back in black

I hit the sack

I've been too long, I'am glad to be back

Yes, I'm let loose

From the noose

That's kept me hanging about

I've been looking at the sky

'Cause it's getting' me high

Forget the hearse, cause I never die

I've got nine lives

Cat's eyes

Abusin every one of them and running wild

Cause I'm back

Yes I'm back

Well, I'm back

Yes, I'm back

Well, I'm back, back

(Well) I'm back in black

Yes I'm back in black.

and watch me explode. Egal was passiert.

Unverdrossen, unverdrossene Unverdrossenheit. Egal, was passiert.

Irland, Spanien, Portugal, Slowenien. Griechenland geht pleite. Was passiert? Keiner kann das mehr so richtig absehen. Kommt der wirtschaftliche Zusammenbruch? Was wird mit dem € ? Und wo wird zuerst gespart werden?

In Holland und Slowenien können wir das gerade mitverfolgen. Und soweit ist Österreich von solchen Kürzungen der Kulturbudgets nicht entfernt: Anfang des Jahres hat die Steiermark gerade erst ihr Kulturbudget um knallige 25% gekürzt.

Und selbst ' unabhängig davon... was feiern wir heute?

Nachhaltigkeit – das neue Zauberwort. Alle möglichen Unternehmen und Unternehmungen bewerben sich als nachhaltig. Aber, was heisst nachhaltig? Und für wen?

Monsanto und der WWF bezeichnen ihr gemeinsames Projekt, bei dem 9 Millionen Hektar Urwald und der Lebensraum eines der letzten frei lebenden Indianerstämme der Welt zwecks für sie profitablem Ölpalmanbau abgeholzt werden sollen als nachhaltig. (Tiger scheinen dort nicht zu leben.)

departure fördert Unternehmungen, die wirtschaftlich nachhaltig sind. Damit ist jedoch primär die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Unternehmung selbst gemeint. „Im Zentrum stehe die Musik.“ Die Musik selbst aber wird nicht gefördert, sondern Unternehmungen, welche mit Musik von Musikern ihr Geld verdienen. Sollten die Musiker deswegen nicht auf die Barrikaden gehen?

Wo liegt die Nachhaltigkeit der darstellenden Kunst? Die Gesellschaft profitiert mehr oder weniger nachhaltig von der Arbeit der Künstler. Die Eintrittpreise sind gering, und die Künstler hängen am Tropf, am Tropf der öffentlichen Gelder. Und wenn die öffentlichen Gelder nicht fließen, dann arbeiten sie unverdrossen weiter. Beschweren sich hier und da, jammern ein wenig untereinander und bringen sich ihr Bier zur nächsten Veranstaltung aus dem Supermarkt mit, aber... Sie akzeptieren letztlich die viel zu niedrigen Honorare und geringstbudgetierten „Einladungen“ zu themenspezifischen Veranstalterproduktionen, weil es immer noch besser ist, als arbeitslos zu sein und weil... Aber ist das nachhaltig? Mit vollem Elan und Motivation sich selbst und m besten noch gegenseitig ausbeuten immer und immer wieder, egal was passiert und letztlich der nächsten Generation erzählen, dass man es selbst auch nicht besser hatte... Ist es das?

Wir feiern heute die Schließung der LABfactory, weil es dafür kein Budget mehr gibt und weil das Herzblut und der Schweiß der sie betreibenden Künstler die Unkosten letztlich nicht tragen können. Das wird nicht. die letzte. Schließung. sein, die wir „feiern“.

Ich denke, der Moment ist gekommen, dass wir nicht nur in eingegrenzten Netzwerktreffen über Mindesthonorare sprechen, sondern wir sollten uns überlegen, für wann im nächsten Jahr wir den Generalstreik (nach französischem Vorbild) ansetzen und wie wir ihn organisieren werden.

Ich freue mich darauf, diese Gedanken, Fragen, Pläne in den anschließenden Gesprächen gemeinsam weiter zu verfolgen.

A lecture by Lena Wicke-Aengenheyster in the framework of and for the finalLAB, organised by nomad.theatre, june 30th, 2011 in LABfactory Vienna

OUT of the NOW - INTO the NOW : Eine Kunst des Jetzt

You have to decide what to do regarding the circumstances.

Die Kunst des Jetzt ist fragil, sie ist kurzlebig, sie hängt an der Aktualität, sie begleitet, reflektiert und beeinflusst das Weltgeschehen. Die Kunst des Jetzt ist dem ständigen Vergehen unterworfen. Sie stirbt und wird wieder geboren. Sie ist konzentrierte Aufmerksamkeit an allen Orten im gleichen Moment. Sie ist und ist nicht. Und ist wieder und ist wieder nicht und ist. Die Kunst des Jetzt entsteht aus der Wahrnehmung und Reflexion aktuellen Zeitgeschehens, aktueller Zustände, Veränderungen, Wertig- und Begehrlichkeiten. Sie entsteht aus dem Jetzt heraus und wirkt in das Jetzt hinein. Die Kunst des Jetzt ist Intervention, sie ist Abbild und Vorbild, realitätsstiftend. Sie ist Definition von Wertigkeiten. Sie vergeht im Moment ihres Entstehens. Sie ist das Jetzt vor dem Jetzt gleich und in der Zeit um 2011 permanent bedroht. Sie muss nicht erhalten, sie muss praktiziert werden. Sie ist Erfahrungsmoment, Suche, Recherche, Beobachtung und Reflexion. Die Kunst des Jetzt ist immer anders, permanenter Veränderung unterworfen. Sie entsteht aus der Wahrnehmung aktueller Zustände und Veränderungen heraus. Sie ist ungreifbar, sie entsteht im Diskurs, in Auseinandersetzung und beeinflusst den nächsten Diskurs, die nächste Auseinandersetzung. Sie ist Mittel zur Kriegsführung, Mittel der Revolution. Sie ist die Unterhaltung der Unterhaltung.

Und aber, die Kunst des Jetzt muss für jeden greifbar, praktizierbar sein, sie muss im Moment ihrer Verfertigung vermarktet werden und ihre Ausschüttung erfahren. Sie ist Leistungssteigerung, Optimierung, gewinnbringend. Egal ob sie materiell oder immateriell ist. Im Falle ihrer Immaterialität wie beispielsweise im Diskurs muss sie zu Werbezwecken abschließend auf den Punkt gebracht werden, ob anstrengend oder nicht. Die Kunst des Jetzt ist nicht nur reflexive, materielle oder immaterielle (Re)Aktion auf aktuelle Geschehnisse, sondern sie muss auch im Sinne ihrer Verfertigung zum Wohle aller in Ziel und Zweck und in Reaktion und Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Systemen und wirtschaftlich dominanten Votrgehensweisen agieren bzw. praktiziert werden.

Sue Bringer Wien 01/2011

Camouflage (de)

Wir sind immer kurz davor. Das Jetzt ist immer auch gleich ein Jetzt-Gleich. Die Verlockung ist groß. Wir müssen aufpassen, nicht zu stolpern, ... (weiterlesen)

Wir leben in einer extrem spannenden Zeit. Wir leben in einem der spannendsten Zeiträume der Weltgeschichte. Wir leben in einer Zeit des Kurz-davor. Wir sind immer kurz davor. Das Jetzt ist immer auch gleich ein Jetzt-Gleich. Wir sind immer drauf und dran den nächsten Schritt zu tun. Die Verlockung ist groß. Wir müssen aufpassen, nicht zu stolpern, den Schritt im Jetzt zu vergessen und ihm den Schritt im gleich, im in 1 Minute, 2 Minuten, 5 Minuten oder lassen wir es 10 Minuten sein, vorzuziehen. Alles scheint möglich und alles ist sofort möglich. 24 Stunden. Es ist eine aufgeregte Zeit. Das Jetzt-Gleich lässt einen das Jetzt vergessen. Alle sind im Gleich oder weit weg in der Vergangenheit. Wer nimmt sich noch die Zeit für das Jetzt? Wer denkt nach über das Jetzt? Wer denkt im Jetzt? Die Aufregung wird zur Hast. Rastlos jagen wir dem Gleich, dem Jetzt-Gleich, dem Sofort, Unmittelbar, dem in 2 Minuten hinterher. Wir sind kurz davor. Kurz vor der Wiederholung, kurz vor dem Orgasmus, kurz vor unserer Zerstörung. Die Zerstörung des Jetzt hat bereits eingesetzt. Das ist nicht geheim, das ist offensichtlich, es ist nicht privat, es ist öffentlich. Alles ist öffentlich. Das Private ist nicht mehr existent. Das Nicht-Öffentliche entzieht sich der Öffentlichkeit, entzieht sich der allgemeinen Wahrnehmung und ist somit nicht mehr existent. Wir leben im Zeitalter der Repräsentation. Der sofort realisierbaren und vorzunehmenden Repräsentation. Der öffentlichen Präsentation des Nicht-Öffentlichen. Das mit seiner Präsentation an die Öffentlichkeit aufhört zu existieren. Facebook: „Was machst Du gerade?“. Oder aber, es ist obskur. Das Geheime ist obskur, beängstigend, gehört verfolgt und eliminiert. Die Verschleierung macht verdächtig. Das Öffentliche aber ist harmlos, weil durchschaubar, verfolgbar, der großen Partygesellschaft angehörend. Lasst uns diese Harmlosigkeit nutzen. Die aufgeregte Zeit ist immer auch die Zeit der Hysterie. Dieser Schritt ist im Gleich, Jetzt-Gleich und für einige extrem verlockend. Birgt die Hysterie doch immer auch die Möglichkeiten der totalen Machtergreifung in sich. Kein Mittel ist stärker als das der Angst und des Mißtrauens. In dieser Zeit ist es wichtiger denn je, dass ein Maximum an Mitgliedern dieser Gesellschaft die Entwicklungen dergleichen beobachten, aufmerksam beobachten, aufmerksamst beobachten. Das kritische Denken, die Selbstüber- und -bewachung, die stetige Erinnerung an das Selbst, das eigene Denken nicht vom Strom der Aufregung mitreißen zu lassen. Die absichtliche, stetig eingenommene, wiederholte Distanzierung ist gefragt. Der eigene Blick von außen. Kunst kann in einer solchen Zeit nicht mehr unpolitisch sein. Dann wäre es keine Kunst. Das Politische an der Kunst ist keine Frage von Wahl, steht nicht zur Wahl. Die Kunst erfährt in einer solchen Zeit eine Verschmelzung mit dem Politischen und der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie ist politisch und gesellschaftliche Entwicklung. In dem Moment, in dem ein Kunstwerk in einer solchen Zeit nicht mehr aus der Reflektion des aktuellen Zeitgeschehens heraus entstanden ist, gedacht ist, erdacht wurde, selbst nicht mehr das aktuelle Zeitgeschehen reflektiert und/oder eine Positionierung, Behauptung, Intervention aus dem Jetzt heraus in das Jetzt hinein ist. In diesem Moment spricht man nicht mehr von Kunst, sondern von Hobby, von Handwerk, vielleicht von Kitsch, von Souvenirs oder von Devotialien. Voilà. Es ist also nicht mehr nur eine Frage der Verantwortung oder der künstlerischen Positionierung, nein. In dieser Zeit sind die Fragen nach Motivation, Reflektion, Zielgruppe und Weltveränderung eine Frage der Profession und Existenz von Kitsch oder Kunst. Kitsch und reine Unterhaltung sind als Teil der gesellschaftlichen Entwicklung in anderer Weise politisch, tragen sie doch zu einem Aufmerksamkeitsdefizit bei, von dem eine Negativentwicklung vom Jetzt in das Gleich nur profitieren kann. Wir alle sind keine Weltverbesserer, aber vielleicht können wir es werden. Die Frage des Formates ist eine Frage der Strategie, des Ausgangs-, Einsatzmomentes, der Zielgruppe und ihrer Verortungen. Das Format muss den genannten Größen, mit denen es dealen soll, entsprechen und dementsprechend erdacht und gewählt werden. Die Information über Privates und Öffentliches muss unbedingt im Sinne des künstlerischen Agierens bedacht und angewendet werden. Hier geht es nicht mehr um die Kunst der Tarnung, hier geht es um Kunst als Tarnung.

Die Performancekünstlerin Lena Wicke-Aengenheyster war zum Festival UNDERGROUND CITY Vienna 21 eingeladen. Ausgehend von ihrer Performance 'THIS IS NOT A BURKA! Just clothes.' am 15. Mai – 15- Juli und 30. September – 30.Oktober im öffentlichen Raum in Hamburg, Berlin, Linz und Wien entwickelte Lena Wicke-Aengenheyster für das Festival das performative business 'RECONQUERED privacy', welches den Vertrieb variierender Modelle von Khimar und Niqab vorsieht - for fashion and freedom. Lena Wicke-Aengenheyster war während des gesamten Festivals in der so-called Burka, Khimar und Niqab zu sehen, diskutierte zusammen mit Gini Müller und Christine Standfest zum Thema „Activism, art and policy“ und verwandelte sich schließlich zum Finale des Festivals zur MONSTERFRAU, ein vorbildliches weibliches Souverän. Aktuell arbeitet Lena Wicke-Aengenheyster an der Körperperformance SPRENGKÖRPER – bombing body, das Schöne des Selbstmordattentats und der Geste der Selbstzerstörung.

Dank an Nadine Jessen für ihre Kunst als Tarnung.

Sue Bringer, Wien am 8. November 2010 zur Veröffentlichung in der Publikation UNDERGROUND CITY Vienna 21

Camouflage (en)

Always on the verge. The temptation is immense. We have to be careful not to stumble, ... (weiterlesen)

Camouflage! It's an extremely thrilling time we're living in. It's one of the most thrilling period of world's history. It's an era of just-about-to-happen. Always on the verge. The now always means as well, just before. We're always just about to take the next step. The temptation is immense. We have to be careful not to stumble, to forget the step in the now while bringing forward the step of the immediate then, the one in-one-minute, in-two-minutes, in-five-minutes, or, why not let it be ten minutes. Everything seems possible, and everything seems possible immediately. 24 hours. An agitated time. The immediate then makes us forget the now. Everybody is already in the immediate then, or way back in the past. Who's got time for the now? Who is actually thinking in the now? Excitement becomes haste. In a rush we hunt for the then, for the immediate then, the immediate, the instantaneous, the in-two-minutes. We're just before, just about. On the verge of repetition, of orgasm, of our own destruction. The destruction of the now is already taking place. That's not a secret, it's obvious, it's not private, it's public. Everything is public. There is no more privacy. The non-public withdraws from the public, withdraws from general perception and, consequently, is no more existent. It's the age of representation we're living in. A representation to be realized and carried out immediately. The public presentation of the non-public. That ceases to exist with being presented in public. Facebook: „What are you doing right now?“. Or, again, it's obscure. The hidden is obscure, frightening, needs to be tracked down and eliminated. Veiling makes you suspicious. The public, easy to see through, is harmless, traceable, belongs to the overall party. Let's make use of that harmlessness. The agitated age is always at the same time the age of hysteria. This step is in the next, immediate then, and extremely luring for some. Hysteria always contains possibilities of total takeover. There's no more efficient narcotic than fear and suspicion. In these times, it is more important than ever to observe these developments, watchfully, extremely watchfully. Critical consideration, self-control and custody, constantly reminding oneself not to let one's own thinking be carried away with the stream of excitement. What is demanded is deliberate, steadily executed dissociation. Your own outside view. In such an era, art can no longer be apolitical. In that case it wouldn't be art. The political in art is not a matter of choice and is not to be chosen. In such an era, art experiences a fusion with the political and social developments. Art is political and social development. In the very moment that a piece of art from such an era ceases to stem from the reflection of current events, is no longer considered or projected in that way, doesn't reflect current events and/or a positioning, a postulation, an intervention from the now into the now. That very moment we cease to call it art, we call it hobby instead, handicraft, even kitsch, eventually souvenir or devotionals. Voilà. Finally, it's no longer a question of responsibility or artistic position, no. In this era questions concerning motivation, reflection, target audience, changing-the-world impact depend on profession and the existence of kitsch or art. Kitsch and pure entertainment as elements of social development are in other ways political, insofar as they contribute to attention deficit, allowing benefits for negative developments from the now to the immediate then. None of us is a do-gooder, yet we might eventually become one.

The question of format concerns strategy, starting point and moment of action, target public and localization of the latter. Format has to comply with the named entities it has to deal with and has to be conceived and chosen accordingly. Information concerning private and public matters must by all means be considered and applied with regards to artistic operation. This is not about an art of camouflage, it's about art as camouflage.


Performance artist Lena Wicke-Aengenheyster was invited to the festival UNDERGROUND CITY Vienna 21 in october 2010. Taking her performance 'THIS IS NOT A BURKA! Just clothes.' (public space performance in Hamburg, Berlin, Linz and Vienna mai 15th – July 15th and september 30th) as a starting point, Lena Wicke-Aengenheyster developed the performative business 'RECONQUERED privacy' for the festival, intending to distribute a variety of Khimars and Niqabs – for fashion and freedom. All through the festival, Lena Wicke-Aengenheyster herself was wearing the so-called Burka, Khimar und Niqab. She took part in the discussion „Activism, art and policy“ with Gini Müller and Christine Standfest and finally metamorphosed into MONSTERFRAU, an exemplary female souverain. Currently, Lena Wicke-Aengenheyster is elaborating the body performance SPRENGKÖRPER – bombing body, the beauty of suicide bombing and the gesture of self-destrucion.

Sue Bringer, Vienna, november 8th, 2010, translation german → english by Urs Riegl /AT

More about THIS IS NOT A BURKA! Just clothes., MONSTERFRAU and RECONQUERED privacy in an interview with Vedran Saric available on http://soundcloud.com/monsterfrau

Philosophischer Affekt als politisches Moment der Liebe

"Mein Begriff der Philosophie hat mit der Kategorie der Behauptung zu tun. Ich mache keine Performances. Wenn ich einen Vortrag halte, dann komme ich seit Jahren »nicht bewaffnet«. Marcus Steinweg ist Philosoph und Herausgeber ... (weiterlesen)

Marcus Steinweg ist Philosoph und Herausgeber der Zeitschrift »Inaesthetics« (Merve). Er arbeitet als Berater mit Künstlern wie Thomas Hirschhorn und Xavier LeRoy zusammen und lehrt an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig. So unkonventionell wie sein akademischer Werdegang ist auch seine Rede. Lecture oder Interview – der freie Fall als performativer Sprechakt. Marcus Steinweg über Philosophie und Kunst als Wissenschaft, Ükonomie und das Politische der Liebe: Für ein neues Zeitalter der Vision.

Kannst du uns etwas über dein Selbstverständnis als Philosoph und deine Arbeit im Kontext der Performancekunst erzählen?

Mein Begriff der Philosophie hat mit der Kategorie der Behauptung zu tun. Ich mache keine Performances. Wenn ich einen Vortrag halte, dann komme ich seit Jahren »nicht bewaffnet«. Das heißt auf eine gewisse Art unvorbereitet – um meine Vulnerabilität, meine Angreifbarkeit zu erhöhen, meine Schutzlosigkeit möglichst hoch zu halten. Ich finde es nicht gut, mit einem vorformulierten Text auf die Zuhörerschaft quasi souverän zuzugehen. Ich glaube an die Freihändigkeit des Denkens. Ich glaube an die Notwendigkeit, das Denken und die Philosophie als Üffnung oder Bewegung ins Freie zu definieren.

Du arbeitest ja auch mit Performancekünstlern wie zum Beispiel deufert&plischke zusammen. Welche Rolle spielst du bei solchen Kollaborationen?

Ich arbeite ja auch mit anderen Künstlern zusammen. Etwa seit Jahren mit dem Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn . Wir haben auch gro&szlige Wandarbeiten gemeinsam gemacht. Demnächst kommt »The Map of Headlessness«. Das Motiv der Kopflosigkeit, das verknüpfe ich auch mit meinem Begriff der Behauptung. In Haupt steckt der alte Begriff von Kopf drin. Philosophie gibt es wie gesagt für mich nur als Behauptung, also jenseits von Beweisgründen. Kunst ist ja am Ende auch nur eine Formbehauptung. Es ist eine formale Setzung, eine Behauptung in dem Sinne, dass sie schlussendlich kopflos geschieht. Sie ist nicht gesichert, kann nicht auf einem stabilem Beweis gründen. Das gilt nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Philosophie. Philosophie hat immer eine Art Hals-über-Kopf-Dynamik, sie ist eine Selbstbeschleunigungs-Dynamik eines zuletzt kopflosen Subjekts. Dieses kopflose Subjekt beschleunigt sich im Denken auf die Inkonsistenz der konstituierten Realität, des sozialen Universums. Philosophie verweist auf diesen Inkonsistenzpunkt.

Du bringst bei diaphanes die Zeitschrift »Inaesthetik« heraus. Im Januar erscheint eine Ausgabe zum Thema Geld mit dem Titel »Money«. Ein paar Worte darüber …

Geld impliziert ein Konsistenzversprechen, das nicht gehalten wird. Mich interessiert die Kategorie des Vertrauens. Was die Erfahrung oder Kategorie des Geldes uns für die Konfrontation mit der Realität lehren kann ist, dass Realität so lange funktioniert, solange wir ihr einen Kredit einräumen. Dieser Kredit bleibt aber ein ungesicherter. Die Kategorie des Vertrauens verbindet sich mit der Kategorie des Versprechens. Das ist die Erfahrung der Ükonomie: Inkonsistenz als Bedingung der Möglichkeit von Ükonomie. In der Realitätserfahrung geht es insgesamt auch darum, zu begreifen, dass dieses Gesetz der Äquivalenz und Reziprozität eine gewisse Inkonsistenz behält. Unsere konstruierte Realität, diese symbolische Bedeutungs-Architektur, ist eine provisorische, prekäre, fragile, fliegende Architektur.

Künstlerische Projekte werden ja zurzeit sehr häufig auch als Forschungsmomente begriffen. Hast du damit Erfahrung?

Aus meinem Unterrichten an der Kunsthochschule in Braunschweig habe ich die Erfahrung gemacht, dass es bei Kunst nicht primär um Wissensvermittlung geht. Wissensvermittlung ist unvermeidbar. Ich glaube nur, dass man den Begriff des Wissens öffnen muss auf das, was man eine Erfahrung nennen könnte. Philosophie ist ja gerade die Infragestellung der etablierten, normativen Kriteriologie. Wir brauchen eine wissenschaftliche Genauigkeit, eine Plausibilisierung dessen was man sagt. Aber es gibt auch den Moment, wo das Argument sich selbst überdreht auf das, was es selbst nicht mehr einholen kann. Diese ?berdrehung ist dann der Moment der Philosophie.

Wenn du jetzt an die Zusammenarbeiten mit den Performancekünstlern denkst, hast du den Probenprozess auch als Forschungsmoment begriffen?

Ich versuche bei mir zu bleiben. Also bei Text und Sprache. Ich glaube an Parallelismus in der Zusammenarbeit. Jeder bleibt bei sich, bei seiner ihm eigenen Form. Thomas Hirschhorn und ich haben das »Work in Blindness« genannt.

Inwiefern kann Performance eine Vision kommunizieren? Kann Performance in der Kommunikation von Visionen eine erste Realisierung darstellen?

Vision hat etwas mit Sehen, Transparenz und Intransparenz zu tun. Philosophie hat sich im Verlauf der abendländischen Geschichte massiv am Vokabular der Visibilität, der Sichtbarkeit orientiert und entlangartikuliert. Philosophie ist Transparenz auf Intransparenz: das Sehen so weit zu treiben bis du nichts mehr siehst – an der Mauer der Unsichtbarkeit zu rühren, aber nicht indem du vorzeitig die Augen verschlie&szligt. Ich bin nicht für diesen freiwilligen Obskurantismus der sich unmittelbar in die Undeutlichkeit schmei&szligt.

Dein letztes Buch hei&szligt »Aporien der Liebe«. Was fasziniert Dich an dieser Thematik?

Man kann nicht aus guten Gründen lieben. Wie können wir uns aber vom romantischen Verschmelzungs- und Liebeskitsch ein Stück weit emanzipieren, um wirklich zu lieben? Das hei&szligt grundlos zu lieben, aber im Bewusstsein dessen, dass es nicht um diese narzisstische Auto-Erotik geht. Man ist ja auch nicht sexy, wenn man permanent vor dem anderen dahinschmelzt. Man muss ja auch eine gewisse Konsistenz mitbringen. Das ist ja wie wenn man ohne Geld ins Casino gehen würde. Du musst einen Resteinsatz zurückbehalten, damit du spielen kannst. Es geht um das Spiel, um Konsistenz, um Einsatz, um eine Verlustfähigkeit. Es geht auch darum, bei der Kunst, der Philosophie und in der Liebe seine Leidenschaft zu präzisieren. Warum will ich was ich will?

Liebe ist ja auch eine Emotion. Kann Liebe deiner Meinung nach auch politisch sein?

Liebe ist nicht ausschlie&szliglich Emotion. Jedenfalls in dem Sinne, als dass Emotion der Rationalität entgegengestellt betrachtet werden kann. Ich glaube Emotionen sind streng ritualisiert, streng stereotypisiert. Wir sind in unserer vermeintlich so authentischen, singulären Gefühlsökonomie völlig durchschossen von Determinanten, die uns diktieren, wann ein Gefühl ein vermeintlich authentisches sei. Ich glaube Liebe ist politisch, weil es letztendlich darum geht, sich mit einer bestimmten Person zu verbinden. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Feigheit. Wir brauchen Mut, um zu lieben. Das ist ja das, was ein Narziss nicht checkt. Er benutzt den anderen, um seine Liebesökonomie stabil zu halten, aber sich einer echten Begegnung, einer Erfahrung entzieht. Das politische Moment der Liebe hat eben damit zu tun, dass man sich einer realen Andersheit öffnet. Das kann die eigene Identität ins Wanken bringen. Das finden wir auch im Krisenmoment, im kritischen Moment des Denkens in der Philosophie. Man muss in der Philosophie, in der Kunst und in der Liebe so anspruchsvoll sein, dass man am Ende nicht unverändert aus dieser Erfahrung hervorgeht.

Text von Lena Wicke-Aengenheyster und Michael Franz Woels, veröffentlicht am 18. Februar 2012 auf skug.at

Ästhetische Erfahrung als Ewigkeitsmoment

Die bildende Künstlerin Katharina Razumovsky zeigt in „Kissen“ eine Körpercollage aus jung und alt. „Der Prozess des Alterns ist das 'Sich-Gewahr-Werden' der eigenen Endlichkeit. Auch denke ich an Proust, an die 'Suche nach der verlorenen Zeit' und an die Möglichkeit, ... (weiterlesen)

Die bildende Künstlerin Katharina Razumovsky, wohnhaft und tätig im 2. Bezirk in Wien, zeigt in „Kissen“ eine Körpercollage aus jung und alt. Nicht die Körper sind in Kissen gebettet, die Kissen sind selber Körperteile – die wechselnden Maskeraden werden zu Sinnbildern stetiger Transformation. Grimassen oder schreckgeweitete Augen setzen die allzu menschliche Angst vor Veränderung in Szene. Katharina Razumovsky im Gespräch mit Michael-Franz Woels und Lena Wicke-Aengenheyster

„Der Prozess des Alterns ist das 'Sich-Gewahr-Werden' der eigenen Endlichkeit. Und die Endlichkeit ist etwas, das Angst macht. Kunst hat, glaube ich, immer auch einen therapeutischen Aspekt. Sie ist ein Sich-Veräußern und Sinn-Geben, indem man sich wiederfindet in der Welt und dann neu interpretiert - in einen Sinnzusammenhang stellt. Das ist das, was uns an der Kunst glücklich macht, die Versöhnung mit unserer Endlichkeit, unserer Vergänglichkeit. Das ist auch so ein Aufblühen von Weisheit.

Auch denke ich an Proust, an die 'Suche nach der verlorenen Zeit' und an die Möglichkeit, in der Kunst eine zweite, nicht lineare Zeitebene zu finden. Eine Zeitebene der Ewigkeit im ästhetischen Erfahren. In dem man quasi versinkt in Musik, Literatur, Gedichten oder Bildern gibt es so ein Ewigkeitsmoment. Das ist wie beim Shopping, wenn man Kleider anschaut und auf einmal nicht mehr weiss: 'Steh ich hier jetzt seit Stunden?' Die ästhetische Erfahrung löst das Moment der Ewigkeit aus und nimmt uns, wenn auch nur "im Spiel", die Angst vor dem Ende.

Ich bin ja auch Mutter und man sagt, Mütter müssten Grenzen setzen. Ich war dazu immer unfähig. Aber der Tod - das ist wie bei einem Kind, das gegen die Wand rennen muss, um sich selbst zu spüren. Das Bewusstsein des Widerstands gibt uns irrsinnige Lebenslust. Wenn Du den Tod als solch einen Widerstand erfährst, ist er belebend, motivierend. Freud sagt ja auch: 'Das Endziel des Lebens ist der Tod.' Das ist wohl wirklich so.“

Aktuell ist die Installation „Asyl“ der Künstlerin in der Galerie Julius Hummel/Bäckerstraße 14/1010 Wien zu sehen. Weitere Informationen unter www.razumovsky.at


Katharina Razumovsky in talk with Lena Wicke-Aengenheyster & Michael-Franz Woels 02/2012 für die Bezirkszeitung BRE der Grünen Brigittenau (Seite 6) zum Thema "Altern", Wien 02/2012

Kindheit und Asphalt

Wir malten uns Gärten, wir malten Mauern und Zäune. Wir malten uns.... Die Erlösung brachte letztlich der Regen. Wir waren erleichtert. Die Fläche war leer. ... (weiterlesen)

Als ich ein kleines Mädchen war, da spielten wir auf der asphaltierten Fläche von Hof und Straße. Wir hatten Malkreide und wir malten uns Häuser, Straßen und Zebrastreifen. Wir malten uns Gärten, wir malten Mauern und Zäune. Wir malten uns Küche, Wohn- und Esszimmer. Wir malten uns Tische, Stühle, Schränke und Betten. Schon bald wurde deutlich, dass die Häuser und Gärten immer größer werden sollten. Die zu Anfang gemalten kleinen Häuschen und Nischen reichten nicht mehr aus, sie sollten im Blick auf die Häuser und Gärten der Schwestern größer, schöner, großzügiger und kompletter werden. Es brauchte einen Autounterstellplatz, vielleicht ein Schwimmbad, eine Sauna. Schon bald fingen Streitereien an, wer an welcher Stelle des Hofes und des Vorplatzes wo und wieviel Platz für sich und sein Haus und Garten beanspruchen durfte. Auch war ich mit meinem großen, zuletzt gezeichneten Haus niemals zufrieden. Es sollte größer und schöner werden, mehr und mehr und mehr, niemals war ich fertig.

Die Erlösung brachte letztlich der Regen. Als wir nach dem Regen aus dem Haus unserer Eltern kamen, waren die Teilungen und Einteilungen, die Häuser, Gärten und alles ihr Innenleben weg. Der Regen hatte sie einfach ausgewaschen. Und der Asphalt zeigte sich gelassen, sauber, ruhig, unbeschrieben, als eine ganze, frische, graue Fläche. Wir waren erleichtert. Die Fläche war leer. Man hätte jetzt jederzeit wieder mit der Kreide zu zeichnen anfangen können. Doch das eine Mal hatte uns gezeigt, letztlich macht dieses Spiel einfach keinen Spaß, führt zu nichts und verdirbt die gute Laune.

Sue Bringer, Wien 13.10.2011

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